Tagung der Streuobstinitiative Chiemgau und ARGE Streuobst Österreich
Der Rückgang des traditionellen Obstanbaus in Obstwiesen mit Hochstammbäumen und Durchmischung der Fruchtsorten – seit einiger Zeit Streuobstanbau genannt – hat in Deutschland und seinen Nachbarländern eine Reihe von Initiativen auf den Plan gerufen, die diese Entwicklung stoppen möchten. Im Herbst letzten Jahres wurde in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein die „Streuobstinitiative Chiemgau“ gegründet, die ARGE Streuobst in Österreich bemüht sich schon einige Jahre länger um den Erhalt dieser überlieferten bäuerlichen Wirtschaftsform zur Versorgung der Bevölkerung mit gesundheitsfördernden Früchten. In einer grenzübergreifenden „Streuobst-Tagung“ in Prien am Chiemsee trafen sich nun die Aktiven von Organisationen aus Deutschland und Österreich, um ihre Aktivitäten gegenseitig kennenzulernen und Aufgaben für die Zukunft herauszuarbeiten. Das breite Spektrum der Teilnehmer zeigte auf, welche Rolle die Beschäftigung mit dem Kulturgut Streuobst und Obstwiesen im öffentlichen Leben dieser Länder spielt – Vertreter der Landwirtschaftskammer Oberösterreich, Mitarbeiter der österreichweiten „Arche Noah“-Gesellschaft zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt, der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft neben Baumwarten und Gartenbauvereinsvorsitzenden. Auch die regionale Politik hatte die Bedeutung des Themas erkannt: In seinem Grußwort hob Rosenheims Landrat Wolfgang Berthaler die Bedeutung der Obstwiesen als wichtiges Element der Kulturlandschaft im Landkreis Rosenheim hervor, der Priener Bürgermeister Jürgen Seifert – „Hausherr“ des Tagungsortes – betonte den gesundheitlichen Wert des heimischen Obstes.
Landschaftsgerechte Landnutzung
Hinter den vielfältigen Bemühungen um die Erhaltung des Streuobstanbaus steht die grundlegende Erkenntnis, dass die ihm zugeordneten Flächen in der Vergangenheit entscheidend das Landschaftsbild in vielen ländlichen Regionen Deutschlands, Österreichs und darüber hinaus geprägt haben. Bei der Priener Streuobsttagung wurde dieser Aspekt von Landschaftsarchitekt Rudolf J. Katzer aus Bad Tölz vertieft, der unter anderem Mitglied der oberbayerischen Bewertungskommission beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ ist. Rudolf Katzer arbeitete heraus, dass die ästhetische Qualität einer Landschaft Teil ihrer Nutzbarkeit und ihres kulturellen Wertes ist und dass das ästhetische Leitbild unseres Kulturkreises auf eine kleinteilig gegliederte Kulturlandschaft abzielt, die durch menschliches Wirken in möglichst vielfältiger und naturverträglicher Weise gestaltet und genutzt wird. In den Streuobstwiesen sah Katzer eine besonders landschaftsgerechte Landnutzung im Sinne dieses ästhetischen Leitbildes und lieferte so die fachliche Begründung für die Bestrebungen zur Förderung des Streuobstbaus.
Regionale Initiativen und landesweite Netzwerke
In der Vorstellung regionaler Initiativen und landesweiter Netzwerke wurde die Vielfalt der Aufgaben deutlich, die sich den auf diesem Gebiet Aktiven stellen. Die noch junge „Streuobstinitiative Chiemgau“ konzentriert sich gegenwärtig darauf, einen gangbaren Weg zur besseren Nutzung des Obstes aus den Obstangern der Region zu finden und sieht sich durch die Nachfrage der in ihrem Gebiet tätigen Keltereien nach heimischem Obst darin bestätigt, so die Aussage der Vorsitzenden Gisela Sengl. Die „Schlaraffenburger Streuobstagentur“ aus dem Landkreis Aschaffenburg geht auf diesem Weg nun schon über zehn Jahre voran und Geschäftsführer Alexander Vorbeck konnte Obstwiesenbesitzern und Streuobstinteressierten anderer Regionen wertvolle Erfahrungen daraus vermitteln.
Die seit 2000 bestehende ARGE Streuobst, die Österreichische Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Streuobstbaus und zur Erhaltung obstgenetischer Ressourcen, versteht sich als breites Netzwerk aller Institutionen und Einzelpersonen, denen diese Ziele ein Anliegen sind, von Bundes- und Landesstellen und universitären Einrichtungen bis zu privaten Sortenerhaltern und bäuerlichen Streuobstbetrieben. Wichtigstes Arbeitsinstrument der ARGE Streuobst ist laut Schriftführer Christian Holler das „Streuobstinfo“, ein elektronisches Magazin, das mehrmals im Jahr über Aktivitäten und Projekte, neue Obstprodukte und Termine in Österreich und angrenzenden Gebieten berichtet. Die Arbeitsgemeinschaft beschäftigt sich stark mit der wissenschaftlichen, auch molekularbiologischen Aufarbeitung von traditionellen, oft auch nur regional vorkommenden Obstsorten, als Voraussetzung für die nachhaltige Verfügbarkeit von entsprechendem Pflanzenmaterial in der Zukunft, durch Kooperation mit Baumschulen und die Herausgabe von Sortenempfehlungen für Obstanbauer. Eine ähnlich strukturierte Arbeitsgemeinschaft Streuobst gibt es seit 2012 auch in Bayern unter der Federführung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Deren Arbeitsschwerpunkte wurden auf der Streuobst-Tagung in Prien von Stefan Kilian vorgestellt, in der Landesanstalt für Landwirtschaft zuständig für den Bereich Streuobst: Unterstützung von Anbau und Verwertung von Streuobst, Informationsplattform im Internet, landesweite Erfassung der Streuobstbestände in Bayern, Qualifizierung von Streuobstpflegern, Sortensicherung, Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung pro Streuobst.
Dem Thema Sortenerhalt widmete sich ausführlich Annette Braun-Lüllemann, Koordinatorin für Steinobstsorten im „Erhalternetzwerk Obstsortenvielfalt“ des deutschen Pomologen-Vereins. Sie erläuterte Ziele und Vorgehensweise dieses Projektes zur langfristigen Erhaltung aller in Deutschland noch verfügbaren Obstsorten. Es handelt sich um eine dezentrale Sammlung, die sich aus den einzelnen Obstsortensammlungen von Mitgliedern des Pomologen-Vereins zusammensetzt, die in einer gemeinsamen Datenbank erfasst werden, nachdem sie auf ihre Sortenechtheit überprüft worden sind. Mit dem Edelreisermaterial aus den Erhaltungssammlungen können die alten Obstsorten auch wieder im Land verbreitet werden.
Obst und Obstprodukte
Ergänzt wurde die theoretische Beschäftigung mit den Anliegen und Vorhaben der Streuobstakteure auf der Streuobst-Tagung in Prien durch die Präsentation von 150 Apfel- und Birnensorten im Vorraum des Tagungslokals und die Möglichkeit zur Verkostung von flüssigen Obstprodukten. Mostsommeliere Gerlinde Penetsdorfer aus dem österreichischen Hausruckviertel stellte drei Obstweine vor, die „Inn-Salzach-Obstinitiative“ bewirtete die Tagungsteilnehmer mit „Lasecco“ von Birnensaft aus dem Innviertel, der Südostbayerische Brennerverband bot prämiierte Edelbrände aus heimischem Obst an. Zum Abschluss führte der Organisator der Streuobst-Tagung, der stellvertretende Vorsitzende der Streuobstinitiative Chiemgau Josef Stein, die Teilnehmer auf den Obst- und Kulturweg Ratzinger Höhe. Der Gartenfachberater im Landratsamt Rosenheim erläuterte die unterschiedlichen Funktionen dieses Obstgartens am Wegesrand: Obstsorten zu erhalten, die vom Verschwinden bedroht sind, Sorten auf Standortangepasstheit auszutesten, den Besuchern die Schönheit und Vielfalt des heimischen Obstes zu zeigen.
Mit freundlicher Genehmigung von Ilse Graichen
Wissenswertes zum Thema Streuobst:
Streuobst:
– Fachliche Bezeichnung für die traditionelle extensive Form des Obstanbaus in Obstwiesen, Obstangern und Obstgärten
– Mischung von Obstbäumen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Fruchtarten, Apfel, Birne, Zwetschge , Kirsche, Walnuss, vor allem Hochstammbäume
– Stehen locker und oft wie zufällig verstreut
– Abgrenzung zum Erwerbsobstanbau in Plantagenform für jeweils eine Obstsortee
Pomologie: Lehre von den Obstarten und Obstsorten; umfasst deren Bestimmung, Beschreibung, Empfehlung und Erhaltung