Seit fast 3 Monaten prägt Covid-19 nun schon unseren Alltag. Im März mussten wir feststellen, dass unsere sogenannte Normalität nicht selbstverständlich ist und daraufhin in rasender Geschwindigkeit unseren Alltag umstellen, um das Schlimmste zu verhindern.
Als Oppositionspolitikerin ist mir manches zu schnell gegangen und ich habe bei weitem nicht alle Entscheidungen gut gefunden. Trotzdem haben wir in den ersten Wochen vieles mitgetragen, um politische Grabenkämpfe zu vermeiden und durch schnelle Maßnahmen letztlich Menschenleben zu retten.
Angesichts des aktuellen Rückgangs der Neuinfektionen ist jetzt der Moment zum Aufatmen und Reflektieren: Zeit für ein Zwischenfazit.
1. Corona hat uns gezeigt, wo das System krankt
Für viele Menschen war die erzwungene Entschleunigung und die Zeit mit der Familie eine wichtige Erfahrung. Das ewige Hamsterrad aus Termin-, Leistungs- und Konsumstress wurde endlich mal angehalten und siehe da: Das kann auch manchmal richtig schön sein.
Aber es war nicht für alle so entspannt. Pflegepersonal, Mitarbeiter*innen im Lebensmittelhandel, Alleinerziehende, Eltern mit Kindern, Alleinlebende, kranke und alte Menschen, die niemand mehr besuchen durfte. Für sie war und ist die Corona-Krise eine besonders große Belastung.
Als Politiker*innen müssen wir jetzt genau hier anpacken. Von besserer Kinderbetreuung über angemessene Gehälter für Pflegepersonal bis zur Wertschätzung für Landwirtinnen und Landwirte. Jetzt gilt es, die Missstände in unserem System, die uns die Corona-Krise so stark verdeutlicht hat, anzupacken und zu verändern.
2. Wissenschaft wurde gehört
Die Wissenschaft ist unsere beste Ratgeberin, die Naturwissenschaften, aber auch die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften. Die Debatte über Corona-Maßnahmen wurde zum Großteil auf Basis von wissenschaftlichen Studien geführt. Wie viel bringen Mundschutz oder Abstandsregeln? Wie hoch ist das Infektionsrisiko, wenn man im gleichen Zugabteil sitzt? Sind Kinder starke Überträger oder nicht?
Dieses Ernstnehmen der Wissenschaft würde ich mir bei der Klimadebatte von den konservativen Parteien auch wünschen. Dann wären wir schon viel weiter.
Mich fasziniert es richtig, was jetzt alles möglich ist. Gelder werden freigegeben, die Bevölkerung durch Informationskampagnen aufgeklärt und klare Regeln eingeführt.
Aus der Corona-Krise können wir also einiges für die Bewältigung der Klima-Krise lernen! Denn zurzeit zeigen wir alle zusammen – die Politik und die Bürgerschaft – wie effektiv, schnell und rational wir handeln können!
3. Krisen können unsere Demokratie gefährden
Demokratie lebt von Offenheit und Beteiligung, vom Austausch, von der Debatte, vom Reden und Streiten miteinander, von Informationsveranstaltungen, von Demonstrationen, vom Ideen schmieden. Das alles können Zoom-Meetings und Skype-Konferenzen nicht ersetzen.
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Demokratie nur durch uns alle zusammen am Leben erhalten wird. Ohne Austausch, Zusammenarbeit und auch Streit ist sie in Gefahr. Jedes Mal, wenn wir uns für unsere Gesellschaft einsetzen, wenn wir über den eigenen Tellerrand hinausdenken und handeln, tragen wir also etwas zu unserer demokratischen Gemeinschaft bei. Demokratie ist nun mal kein Konsumgut, sondern muss gelebt werden!
4. Die industrielle Lebensmittelerzeugung ist an ihrer Grenze
Wer wollte, konnte es auch schon vor dieser Krise sehen – Corona aber hat das Vergrößerungsglas auf die Zustände in unserer industriellen Lebensmittelproduktion gehalten. Spätestens jetzt muss allen klar sein, dass wir unser Fleisch, unseren Spargel oder Hopfen offenbar nur mit Wanderarbeitern aus Südosteuropa so billig produzieren können, und dass diese Wanderarbeiter teilweise auch noch so schlecht untergebracht sind, dass sie erhöhten Krankheitsrisiken ausgesetzt sind.
Corona hat aber auch gezeigt, dass die Menschen bei uns schon viel weiter sind, als es die Politik und die Lobbyisten des alten Systems zugeben wollen: Sobald die Leute mehr daheim essen mussten, hat der Verbrauch von Biolebensmitteln deutlich zugenommen. Ganz offensichtlich liegt also eine Bremse des Biobooms im mangelnden Bio-Angebot bei der Gemeinschaftsverpflegung. Hier kann und muss der Staat zukünftig viel mehr selbst tun und Anreize schaffen.
5. Wir brauchen Konzepte für die Schule von morgen
Die Situation beim Homeschooling hat uns gezeigt, dass das bayerische Schulsystem offenbar schlecht vorbereitet ist auf die digitalen Anforderungen unserer Zeit. Während sich alle Firmen binnen kürzester Zeit auf die neue digitale Situation eingestellt haben, haben unsere Lehrer*innen keine Computer, oft nicht einmal Email-Adressen; die Accounts für Videokonferenzen mussten selbst angelegt und bezahlt werden. Die Chancengleichheit für alle Kinder läuft dabei Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Bis zum neuen Schuljahr im September muss das Kultusministerium deshalb neue Konzepte entwickeln, die auch außerhalb des Klassenzimmers funktionieren – gute Ideen gibt es mehr als genug!
6. Kinder dürfen nicht die Verlierer der Krise sein
Bei allen Anstrengungen für die Abfederung der Corona-Auswirkungen blieben die Kinder auf der Strecke. In unserer Gesellschaft zählen zuerst die Bedürfnisse derer, die am lautesten schreien: der Automobilkonzerne, der Wirtschaft. Die sich nicht bemerkbar machen, weil sie keine Stimme haben (wie die Kinder), oder wegen 25-Stunden-Tagen zwischen Homeoffice, Homeschooling etc. keine Kraft mehr haben, sich bemerkbar zu machen (wie die Eltern), kommen ganz zum Schluss. Ich sehe es als unsere Aufgabe als Politiker*innen, gerade auch den Schwächsten unserer Gesellschaft, die keine Lobby haben, eine Stimme zu geben.
Als Politikerin zeigt mir die Corona-Krise vor allem eines: Politik wird dann von den Menschen akzeptiert, wenn sie respektvoll, eindeutig und nachvollziehbar ist. Klare Leitlinien und verständliche Erklärungen sind die Grundlage, Selbstkritik und das Arbeiten an Verbesserungen dann die Weiterführung.
Diese Dinge müssen immer wieder angemahnt werden, von uns als Opposition, aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb muss ein Plan dafür, was zu tun ist, wenn die nächste Pandemie kommt – und den werden wir brauchen – auch im gesellschaftlichen Diskurs erarbeitet werden.
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