Traunreut (Hans Baltin) – Auf Einladung der Traunreuter Grünen informierte MdL Gisela Sengl über das geplante Freihandelsabkommen TTIP.
Das Thema TTIP taucht seit einigen Monaten immer wieder in den Medien auf. Zuletzt hatte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt Befürchtungen geweckt, deutsche Spezialitäten, wie Schwarzwälder Schinken oder Nürnberger Rostbratwürste könnten nach dem Inkrafttreten von TTIP auch von den Amerikanern produziert und in Deutschland verkauft werden.
Nach der Begrüßung durch den Ortsvorsitzenden Hans Baltin begann Frau Sengl ihren Vortrag mit der Frage, ob jemand wisse, was die Abkürzung TTIP eigentlich bedeute. Das Kürzel steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership. Es geht also um Handel und Investitionen, von “Freihandel” ist nicht ausdrücklich die Rede.
Ziel von TTIP ist der Abbau von Handelshemmnissen wie etwa Zöllen, aber auch die Anpassung von technischen, sozialen und Umwelt-Standards. Darüber hinaus ist ein umfangreiches Vertragswerk zum Investorenschutz vorgesehen.
Dieser Investorenschutz ist für Gisela Sengl der Hauptkritikpunkt am TTIP-Vertrag. Denn es ist vorgesehen, dass alle diesbezüglichen Streitigkeiten von einem internationalen Schiedsgericht geregelt werden. Jede Streitpartei bestimmt dabei einen Vertreter und diese müssen sich auf einen Mediator einigen, der in der Sache abschließend urteilt. Eine Revision etwa vor nationalen Gerichten ist danach nicht mehr möglich.
Amerikanische Konzerne könnten also bei der Verschärfung einer europäischer Verbraucherschutzrichtlinie aufgrund des Investorenschutzes gegen ein EU-Land klagen, wenn ihnen dadurch Gewinne entgehen. Es bedeutet faktisch, dass etwa beim Verbraucherschutz keine Verschärfung der Standards über den heutigen Stand hinaus mehr möglich sein wird, da den Konzernen dadurch immer Gewinne entgehen werden.
Das Schiedsgericht ISDS existiert bereits seit 1965 und die Fallzahlen zeigen, in welche Richtung der Trend geht. In den 1960er Jahren wurde dort ein Fall pro Jahr verhandelt, im Jahr 2008 waren es bereits 48 Fälle.
Ein aktuelles Beispiel, wie diese Investorenschutzklagen ablaufen können, zeigt die Klage des Tabakkonzerns Philipp Morris gegen den Staat Uruguay, die seit 2013 anhängig ist.
Der neue Gesundheitsminister von Uruguay, ein Krebsarzt, hatte bestimmt, dass die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln 80% der Packung einnehmen sollten, außerdem verbot er die Verwendung von Sotenbegriffen wie “light”, “medium” und “classic” für Zigaretten.
Daraufhin klagte Philip Morris wegen entgangener Gewinne von 25 Mio. Dollar vor dem Schiedsgericht ISDS, interessanterweise aufgrund eines Handelsabkommens zwischen Uruguay und der Schweiz, da Philipp Morris seinen Sitz in der Schweiz hat.
Das Urteil wird erst für 2016 erwartet, aber Uruguay hat seine Tabakrichtlinie bereits dahingehend abgeschwächt, dass die Sortenbegriffe wieder erlaubt sein sollen.
Obwohl dieser Fall bezüglich der Schadenssumme keine große Bedeutung hat, kann er zum Präzedenzfall für derartige Klagen gegen nationale Gesetzgebungen werden und eine Lawine derartiger Klagen auslösen.
Die Auswirkungen wären massiv. Mit dem Vorwurf entgangener Gewinne kann praktisch gegen alle Gesetze und Regelungen vorgegangen werden, die einem Investor nicht passen, auf Bundes- Länder- und kommunaler Ebene, in allen Lebensbereichen.
Dringend notwendige Verbesserungen bei der Tierhaltung und beim Verbraucherschutz, die besondere Förderung der biologischen Landwirtschaft, regionale Vermarktungskonzepte, alles wäre angreifbar und würde zur Disposition gestellt.
Am Ende ihres Vortrags erzählte Gisela Sengl noch von einer USA-Reise, die sie mit Kollegen des Agrarausschusses unternommen hatte und die ihr die großen Unterschiede zwischen der europäischen und der amerikanischen Landwirtschaft vor Augen geführt hat.
Die USA und die EU haben etwa die gleiche landwirtschaftlich genutzte Fläche von jeweils 170 Mio. Hektar. Dabei beträgt die durchschnittliche Betriebsgröße in Europa etwa 12 Hektar, in den USA aber stolze 180 Hektar.
Die amerikanischen Betriebe sind radikal auf Produktivität ausgelegt. Der Personaleinsatz ist minimal, alle Produktionsschritte sind automatisiert.
Dadurch kostet z.B. die Aufzucht eines Hähnchens incl. der vollautomatischen Schlachtung nur 1,99 USD, in Europa über 4 USD.
Für Sentimentalitäten beim Umgang mit den Tieren oder Skrupel beim Einsatz produktionssteigernder Mittel haben die amerikanischen Bauern überhaupt kein Verständnis. Insofern kann von der vielbeschworenen Wertegemeinschaft zwischen Europa und Amerika keine Rede sein. Denn während in Europa und vor allem in Deutschland ein breiter Konsens darüber besteht, dass unsere Nahrungsmittel möglichst natürlich und unverfälscht sein sollten und die Produktion Naturverbrauch und Tierwohl im Auge behalten muss, geht es in den USA nur um die Wirtschaftlichkeit und den Gewinn.
Wenn TTIP umgesetzt wird, wird es die heimische Landwirtschaft sehr schwer haben, ihre hohen Standards an Qualität, Regionalität, Natur- und Tierschutz aufrecht zu erhalten oder gar zu verbessern. Viel wahrscheinlicher ist ein “race to the bottom” also ein Absinken der Standards und ein Wettlauf um den niedrigsten Preis.
Um dieses Szenario abzuwenden, muss TTIP als ganzes verhindert werden. Ein “Herausverhandeln” der Investorenschutzklausel ist undenkbar, dann wäre es nicht mehr TTIP.
Dass dies möglich ist, zeigt das Beispiel des “Multilateralen Investitionabkommens”, des Vorläufers von TTIP. Es scheiterte in den 1990er Jahren am Widerstand der französischen Bauern.
Hier noch ein weiterer Hinweis: mit der sogenannten “Regulatorischen Kooperation”, die ebenfalls mit TTIP verhandelt wird, soll den USA ein Mitspracherecht bei europäischen Gesetzesvorhaben eingeräumt werden. Näheres dazu hier: http://www.umweltinstitut.org/aktuelle-meldungen/meldungen/ttip-usa-sollen-mitspracherecht-bei-europaeischer-gesetzgebung-erhalten.html