Meine Rede zum Tag der Deutschen Einheit bei der Veranstaltung “Die Einheit ist bunt!”:
In meiner Kindheit und Jugend war der Tag der deutschen Einheit noch am 17. Juni. Es war ein Feiertag, also schulfrei und das war das Wichtigste an diesem Tag. Wir hatten keine Verwandten in Ostdeutschland und mein Wissen über die DDR hatte ich aus Büchern und etwas aus dem Schulunterricht. Irgendwie wusste ich, dass der Anlass für den Feiertag etwas sehr Tragisches war und dass es überhaupt ganz schlimm war, dass die Menschen in der DDR nicht verreisen durften so wie wir.
1986 sind wir dann das erste Mal mit dem Auto durch die DDR rauf nach Berlin gefahren. Und den Eindruck und die Bilder habe ich heute noch vor Augen: die leeren Autobahnen, die total leeren Autobahnraststätten, an denen man abgewiesen wurde, weil angeblich kein Platz mehr frei war. Dann unser Besuch in Ost-Berlin: leider war an diesem Tag auch noch schlechtes, regnerisches Wetter, aber in meiner Erinnerung gab es in Ost-Berlin nur die Farben grau und braun.
Ich hatte damals wirklich nicht viel Geld, und selbst dieses wenige Geld sind wir nicht losgeworden. Der Gegensatz zu unserer auch damals schon sehr konsumorientierten Welt und dem Nichts in Ostberlin war wirklich riesig. Ich empfand alles als sehr deprimierend und war froh, wieder nach Westberlin in unsere schöne bunte Welt zurückfahren zu können.
Der Fall der Mauer ist dann irgendwie an mir vorüber gegangen. Natürlich habe ich alles mitbekommen, aber es war für mich kein besonderes emotionales Erlebnis.
Erst als ich in den Pfingstferien 1993 mit meinem Sohn mit dem Zug von Traunstein nach Rügen gefahren bin, wurden wir sehr oft und nachhaltig mit den Unterschieden zwischen Ost und West und den großen Schwierigkeiten konfrontiert. Wir übernachteten damals in der Jugendherberge in Rostock und ich war erschüttert über diesen komplett heruntergekommen eigentlich wunderschönen historischen Bau. Auf der Insel kamen wir mit einigen Ostdeutschen ins Gespräch. In Erinnerung ist mir vor allem hier die Klage einer Lehrerin geblieben. Sie war zu DDR-Zeiten immer in Vollzeit als Lehrerin tätig gewesen, nach der Wende wurde ihre Stelle einfach um die Hälfte gekürzt, da war sie 53. Das wäre vielleicht gar nicht so schlimm gewesen, aber gleichzeitig wurden ihre Rentenansprüche gekürzt, d. h. ihre Rente wurde so berechnet, als hätte sie ihr ganzes Leben nur Teilzeit gearbeitet.
Insgesamt war und ist es bis heute ein schwieriges Unterfangen, Ost und Westdeutschland als Einheit zu sehen und zu erleben. Der damalige Bundeskanzler Kohl wurde berühmt für seinen Ausspruch der blühenden Landschaften, die Grünen wiesen damals schon darauf hin, dass das nicht so einfach werden würde. Das wollte aber niemand hören und die Quittung war: die Grünen flogen 1990 aus dem Bundestag raus. Aber bis heute leidet Ostdeutschland:
unter den vielen Verwerfungen, die die Treuhand-gesellschaft verursacht hat, leidet daran, dass sich gleich nach der Wende sehr viele junge Frauen auf in den Westen gemacht haben, und leidet vor allem an den gesellschaftlichen Auswirkungen des unfassbar brutalen und perfiden Stasi-Apparats.
Aber dieser Feiertag mit dem Namen: Tag der deutschen Einheit, erinnert auch an großartige menschliche Taten. Am 17. Juni 1953 gingen hunderttausende von Menschen in ganz Ostdeutschland auf die Straße, um für freie und demokratische Wahlen zu kämpfen. Sie wurden damals von 600 Sowjetpanzern niedergewalzt, es gab 50 Tote und unzählige Inhaftierungen. Damals haben die Menschen ihr Leben riskiert für ihre Forderung nach freien Wahlen, heute gehen meist ein Viertel der Wahlberechtigten gar nicht mehr zum Wählen.
Seit 1990 feiern wir am 3. Oktober den Tag der deutschen Einheit und erinnern damit daran, dass seit dem 9. September 1989 wieder hunderttausende von Menschen in ganz Ostdeutschland jeden Montag auf die Straße gingen, um für eine friedliche, demokratische Neuordnung, für Reisefreiheit und die Abschaffung des Ministeriums für Staatssicherheit zu kämpfen.
Und bis heute eigentlich unfassbar und ein großes Wunder, dass diese Demonstrationen so friedlich verlaufen sind und die Wiedervereinigung friedlich umgesetzt werden konnte.
Wir haben viel erreicht in unserem Land, wir sind tolerant und respektvoll, bunt und frei, europäisch und international, gastfreundlich und mitfühlend und auch noch wirtschaftlich erfolgreich, das sollten wir würdigen und schätzen und es nicht zerstören lassen von autoritären, ultranationalistischen, rückwärtsgewandten, gewalttätigen Parteien und Gruppierungen.